Wincklerbad
Voraussetzungen und Formen rechtsradikaler Geschichtsmythen am Beispiel des Wincklerbades in Bad Nenndorf
Von Steffen Holz
Impulsreferat anlässlich der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung „‚Kraft durch Freude‘, Mutterkreuz und Autobahn“ zu rechtsextremen Geschichtsmythen über das Dritte Reich
Hannover, 31. Juli 2010
Anlass rechtsradikaler Aufmärsche vor dem Wincklerbad
Anlass für die rechtsradikalen Aufmärsche vor dem Wincklerbad in Bad Nenndorf, benannt nach dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts weithin bekannten Badearzt Prof. Dr. Axel Winckler, ist die Tatsache, dass diese ehemalige Kureinrichtung in den Jahren 1945 bis 1947 ein Teil des Combined Services Detailed Interrogation Center No. 74, kurz CSDIC Bad Nenndorf gewesen ist, eines geheimen Verhörzentrums des britischen militärischen Geheimdienstes.
Dieser Lagerkomplex wurde am 1. August 1945 durch die britische Besatzungsmacht beschlagnahmt, die Bewohner mussten innerhalb von Stunden ihre Häuser verlassen. Er umfasste mehrere Straßenzüge: 87 Wohnhäuser für das Lagerpersonal und 19 Funktionsgebäude gehörten dazu; insgesamt 106 Gebäude, darunter das Wincklerbad und das heutige Hotel Esplanade, wo die Häftlinge untergebracht waren und die Verhöre stattfanden. Der gesamte Bereich war durch gestaffelte Absperrmaßnahmen vom übrigen Teil des Ortes hermetisch abgeriegelt; sowohl die Häftlinge als auch das Personal sollten keinerlei Kontakt zur Bevölkerung haben.
Der historisch-politische Kontext des Wincklerbades
Das CSDIC Bad Nenndorf war Teil des Systems der zivilen Internierungslager der Besatzungsmächte, welche neben den Kriegsgefangenenlagern existierten. In den westlichen Besatzungszonen waren dort bis 1948 bis zu 500.000 NS-Funktionäre interniert; allein bis zu 90.000 in der Britischen Besatzungszone . Dazu kamen in der sowjetischen Besatzungszone noch einmal 300.000 Gefangene. Ziel dieser Internierungen war zunächst die Verhinderung von Bürgerkriegshandlungen sogenannter ?Werwölfe? sowie weiterem ideologischen und politischen Einfluss der Nationalsozialisten.
In den zivilen Internierungslagern bestand die Mehrzahl der Inhaftierten aus den unteren und mittleren Führungskadern des NS-Regimes. Das CSDIC Bad Nenndorf hingegen war zunächst für hohe und höchste Nationalsozialisten vorgesehen, für hohe Militärs sowie Spitzenkräfte aus der Wirtschaft. Hier sollten nicht nur Guerillaaktivitäten und Sabotage verhindert werden, sondern man hoffte, von den potentiellen Initiatoren und Führern bürgerkriegsähnlicher Aktivitäten Informationen über deren Strukturen und konkrete Planungen zu erhalten. Innerhalb der britischen Besatzungszone kam diesem speziellen Verhörzentrum schon deshalb eine besondere Rolle zu, da es das einzige in der Verwaltung des militärischen Geheimdienstes M 19 war. Auch ist innerhalb der britischen Zone kein anderes Lager bekannt, dass mit einem öffentlichen Skandal aufgrund von Misshandlungen an Gefangenen geschlossen wurde. Im gesamten Zeitraum der Existenz dieses Speziallagers waren dort 372 Männer und 44 Frauen inhaftiert. Zu den bekanntesten bzw. einflussreichsten Gefangenen dort zählten der Leiter des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Oswald Pohl, sowie die Testpilotin Hanna Reitsch. In Pohls Zuständigkeit lag u.a. die sogenannte ?wirtschaftliche Nutzung? der Konzentrationslager, von der Arbeitskraft der Häftlinge über Zahngold bis zu den Haaren der Frauen.
Die Zusammensetzung der Gefangenen im Wincklerbad änderte sich jedoch mit dem aufkommenden Kalten Krieg. Ab 1946 wurden dort auch vermehrt mutmaßliche sowjetische Spione gefangen gehalten. Dabei gerieten auch harmlose Grenzgänger zwischen die Mühlen des Nachkriegschaos.
Sowohl Inhaftierte aus der Gruppe der NS-Funktionäre bzw. ?Verdächtigen als auch aus der der mutmaßlichen Sowjetspione wurden zu Opfern schwerer Misshandlungen und Folter durch das Lagerpersonal. Nicht klar ist jedoch bislang, wie viele der insgesamt 416 Gefangenen hiervon betroffen waren, und wieweit die Lagerleitung bzw. höherrangige Stellen davon gewusst haben, daran beteiligt waren bzw. dies mit Duldung oder auf sogar auf Befehl erfolgte. Auch die aktuelle Website des heutigen britischen Geheimdienstes MI5 berichtet zumindest von 9 nachgewiesenen Fällen von Misshandlungen, führt dies aber auf die zu geringe Zahl und mangelnde Qualifikation der Wachmannschaften zurück. Zu den Mißhandlungen kam die körperliche Schwächung der Häftlinge durch Unterernährung, was in mindestens drei Fällen zum Tod führte. Die katastrophalen Zustände im Lager wurden jedoch Pfingsten 1947 durch einen Unterhaus-Abgeordneten der Labour-Party aufgedeckt, kamen im Parlament zur Sprache und fanden in den Medien sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien große Beachtung. Das Lager wurde daraufhin geschlossen. Die juristische Aufarbeitung der Vorgänge durch die britischen Behörden muss jedoch als mangelhaft bezeichnet werden .
Neonazis besetzen Wincklerbad als Gedenkstätte
Als sich am 8. Mai 2006 zum ersten Mal ca. 20 Neonazis in Bad Nenndorf vor dem Wincklerbad zu einem Trauer- bzw. Gedenkmarsch versammelten, haben nur wenige damit gerechnet, dass dies der Auftakt für jahrelange, nach dem Willen der rechtsradikalen Veranstalter sogar jahrzehntelange Aufmärsche sein sollte. Inzwischen wurden diese Veranstaltungen von ihren Organisatoren bis zum Jahre 2030 bei der Versammlungsbehörde angemeldet. Mit Bad Nenndorf hatte man offensichtlich einen Ersatz für das oberfränkische Wunsiedel gefunden. Dank des Widerstandes der dortigen Bevölkerung und eines gesetzlichen Verbots der Verherrlichung von NS-Größen wurden die Aufmärsche in Wunsiedel seit 2005 verboten.
Mit dem Wincklerbad in Bad Nenndorf wurde ? neben Dresden ? seit 2006 eine neue Anlaufstelle für nationalsozialistische Geschichtsmythen aufgebaut.
Bad Nenndorf steht jedoch im Unterschied zu Wunsiedel oder Gräfenberg für einen zwar nicht vollständig neuen, aber davon abweichenden Typus rechtsradikaler Geschichtskonstruktion. Denn mit den ?Trauermärschen vor dem Wincklerbad? wird ? zumindest oberflächlich ? kein positiver Bezug zum historischen Nationalsozialismus genommen. Diese Variante rechtsradikaler Geschichtsmythen bedient sich vielmehr eher der Umwertung historischer Ereignisse. Die Bombardierung Dresdens wird als ?alliierter Bombenholocaust? bezeichnet, die Verhältnisse im Internierungslager in Bad Nenndorf als ?britisches Folterlager?. Bezeichnender Weise benutzen sie auf ihren Flugschriften und im Internet drei Fotos von ehemaligen Gefangenen, wobei es sich in keinem Fall um Nazis handelt. Während der sogenannten ?Trauermärsche? selbst ist man dann schon ungezwungener. Antisemitische Hetzreden sind ein zentraler Bestandteil dieser Aufmärsche.
Bündnis ?Bad Nenndorf ist bunt?
Gegen diese Form des Geschichtsrevisionismus gründete sich schon unmittelbar nach den ersten Vor-Veranstaltungen der ?Trauermärsche? das Bündnis ?Bad Nenndorf ist bunt?, das allerdings in dem Kurort zunächst einen schweren Stand hatte. Kommunalpolitisch einflussreiche Personen fürchteten sich vor Gewerkschaftern und linken Gegendemonstranten offensichtlich mehr als vor anfangs ca. 20 Rechtsradikalen. Viele hofften, die gespenstischen Aufmärsche durch ?aktives Ignorieren? wieder loswerden zu können. So wurden die Gegendemonstrationen in den Jahren 2006 bis 2008 vorwiegend von Antifa-Gruppen getragen. Nur wenige Nenndorfer Bürger beteiligten sich in diesen Jahren an den unmittelbaren Protesten gegen die ?Trauermärsche?.
Parallel zu diesem politischen Widerstand begann das Bündnis jedoch mit der Organisation von mehreren Dutzend von Informations-, Kultur-, Musik- und Bildungsveranstaltungen. Diese Veranstaltungen erhielten auch früh schon Unterstützung aus breiteren der Teilen der Bevölkerung und offiziellen Stellen. Das Bündnis erreichte mit diesen Veranstaltungen schnell alle Altersgruppen und weite Teile der Bevölkerung.
Der Durchbruch hin zu einer breiten Beteiligung am politischen Widerstand gegen die ?Trauermärsche? gelang jedoch erst 2009, nachdem deren Veranstalter diese bis zum Jahre 2030 angemeldet hatten. Plötzlich platzte die Illusion, sich dieses Problems durch Passivität entledigen zu können. Getragen durch Beschlüsse des Rates und einiger örtlicher Vereine marschierten deren Spitzen und andere Persönlichkeiten nun an der Spitze der Gegendemonstration.
So ist zu hoffen, dass es bald gelingt, dem braunen Spuk durch zivilgesellschaftliches Engagement ein Ende zu machen. Wir geben uns aber keinen Illusionen hin, dass dies sehr schnell geschehen könnte.
Voraussetzungen rechtsradikaler Geschichtsmythen
Um in einer solchen langfristigen Auseinandersetzung erfolgreich sein zu können, ist es nicht nur notwendig, möglichst viele Menschen gegen rechte Aufmärsche zu Organisieren. Zu den Voraussetzungen hierzu gehört erstens eine möglichst quellennahe schonungslose Rekonstruktion der Ereignisse im Verhörzentrum in den Jahren 1945 bis 1947. Zweitens gehört hierzu auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Verdrängung der NS-Diktatur, die im Nachkriegsdeutschland und der jungen Bundesrepublik schnell um sich griffen. Die Organisatoren der heutigen ?Trauermärsche? brauchen ihre Geschichtsmythen nicht völlig neu zu erfinden, sie können sich vielmehr aus einem reichhaltigen Instrumentenkasten ?aktiven Ignorierens? nationalsozialistischer Gewaltverbrechen bedienen. Diese Voraussetzungen sind nicht beschränkt auf das rechtsradikale politische Spektrum, sondern sie bilden ein ideologisches Grundmotiv der frühen Bundesrepublik.
Ersten gab es die deutsche Verdrängung, ?die Unfähigkeit zu trauern?, wie dies Alexander und Margarethe Mitscherlich in einer bahnbrechenden Untersuchung nannten, welche 1967 als Aufsatzsammlung unter gleichem Titel erschien. Sie hatten in ihren Forschungen herausgefunden, dass die Unfähigkeit der Täter und Zuschauer, um die Opfer ihrer Untaten zu trauern, wesentlich mit der Unfähigkeit zusammenhing, sich von der eigenen Identifikation mit dem Nationalsozialismus zu lösen. Dazu hätte auch Trauer gehört ? Trauer um den damit verbundenen Verlust einer starken Identifikation mit dem ?Führer? Adolf Hitler etwa.
Auf die eigenständige deutsche kollektive Verdrängung legte sich zweitens seit 1947 mit der beginnenden Begnadigungswelle verurteilter NS-Verbrecher durch die westlichen Besatzungsmächte ein weiterer Mantel des Schweigens. Im Zusammenhang des Kalten Krieges wurde hierdurch implizit die Rechtmäßigkeit der Nürnberger Prozesse und letztlich auch antifaschistische Kampfauftrag der Anti-Hitler-Koalition opportunistisch in Frage gestellt. Die Massenbegnadigungen verurteilter NS-Täter durch die alliierten Behörden bilden so bis heute eine schwer zu durchbrechende Schwelle bei der Erkenntnis rechtsradikaler Geschichtsmythen. Über diese Widersprüche sind sich auch die Organisatoren der Trauermärsche zumindest intuitiv bewusst; so heißt es in einer Flugschrift aus dem Jahre 2009 : ?An den Geschehnissen im Wincklerbad verzweifeln die heutigen Systemhistoriker und sprechen doch ein offenes Wort.? Es kann nicht geleugnet werden, dass die historische Aufarbeitung, an die wir uns jetzt gemacht haben, viel zu spät kommt!
Dieser doppelte Schleier der Verdrängung liegt nicht nur über Bad Nenndorf, sondern der gesamten (west-)deutschen Nachkriegsgeschichte. Dazu kommt noch ein dritter Schleier: die tatsächlichen Verfehlungen der britischen Autoritäten im Wincklerbad 1945 bis 1947 und ihre mangelhafte juristische und historische Aufarbeitung in der Zeit danach.
In der Person von Oswald Pohl treffen diese drei eigenständigen Motive von Verdrängung von NS-Verbrechen in Bad Nenndorf zusammen. Zwar war er Ende Mai 1946 nur wenige Tage in Bad Nenndorf gefangen; er wurde in dieser Zeit allerdings mehrmals schwer misshandelt und verlor dabei zwei Zähne. Als Leiter des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes stand Pohl auf einer Ebene mit den Hauptkriegsverbrechern. Er wurde u.a. wegen seines maßgeblichen Anteils an der Vernichtung der europäischen Juden zum Tode durch den Strang verurteilt. Aber seine massive Schuld wurde nicht nur von ihm selbst verleugnet; kurz nach seiner Verurteilung im November 1947 wurde in der deutschen Öffentlichkeit eine Kampagne zur Begnadigung durch Politiker und bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Gang gesetzt. Für die Begnadigung Pohls setzen sich u.a. der spätere Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) und Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid (SPD) ein, letzterer leitete im Parlamentarischen Rat die Entstehung des Grundgesetzes.
Die deutsche Verdrängung
Es ging in dieser Begnadigungsbewegung nicht nur um einzelne für unschuldig vermutete Täter, sondern um die weitgehende kollektive Freisprechung aller Deutschen von den nationalsozialistischen Verbrechen, mit der Ausnahme von Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und wenigen anderen. Es ging also um die Umkehrung der sogenannten ?Kollektivschuld?, die niemals offizielle Meinung der Alliierten war, in die kollektive Unschuld! Absurder Weise stand Pohl als einer der Hauptverantwortlichen des Holocausts an der Spitze der Wunschliste zu begnadigender Verbrecher. Aufgrund der außergewöhnlichen Schwere seiner Schuld wurde das Begnadigungsgesuch für ihn durch den amerikanschen Hochkommissar John Jay McCloy jedoch abgelehnt; Pohl wurde am 7. Juli 1951 als einer der letzten im Rahmen der Nürnberger Prozesse verurteilten Kriegsverbrecher in der Festung Landsberg am Lech hingerichtet.
Massenbegnadigungen leisten Verdrängung Vorschub
Dieses deutsche Motiv der Verdrängung historischer Verarbeitung wurde dann mit dem Aufkommen des kalten Krieges durch politische Motive insbesondere der USA ergänzt, verstärkt seit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juli 1950. Deutschland sollte wieder in eine antisowjetische militärische Strategie eingegliedert werden. Mit der Begnadigungswelle zugunsten nationalsozialistischer Verbrecher wurden hunderte industrieller, militärischer und politischer Funktionsträger auf freien Fuß gesetzt, sie konnten sich wieder in den gesellschaftlichen Apparaten etablieren. Im Kern der Bedeutung handelte es sich um eine von den Spitzen der deutschen Gesellschaft geforderte kollektive Amnestie von den NS-Verbrechen.
Drittens: Mangelnde Aufarbeitung Wincklerbad
Der dritte Schleier ergibt sich aus der speziellen Situation in Bad Nenndorf. Zwar gelang die Aufdeckung der Misshandlungen und die Schließung des Lagers durch zivilgesellschaftliche Kräfte in Großbritannien ? Kirche und Parlament – im Verbund mit der Kraft der freien Meinungsäußerung. Eine befriedigende juristische und historische Aufarbeitung geschah jedoch zeitnah nicht; sie wurde sogar verhindert. In unserer geplanten Dokumentation können zumindest einige Motive für die Verschleierung der Aktivitäten von Col. Robin Stephens und seiner Mannschaft durch Teile der britischen Regierung genannt werden.
Diese mehrschichtigen deutschen Verdrängungsprozesse fanden keineswegs mit der Studentenbewegung in den 60er Jahren und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen ein Ende. Ich vertrete die These, dass die damals entwickelten Verdrängungsmechanismen in der Geschichte der Bundesrepublik eine bis heute wirkende ideologische Konstante darstellen. Sie gehören damit zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit rechter Mythen.
Die späten Auswirkungen dieser Verdrängungsprozesse dürften zumindest auch einen Teil der Erklärung liefern, wie es zu der vehementen Abwehr des zivilgesellschaftlichen Widerstandes gegen die ?Trauermärsche? in Bad Nenndorf kam, welcher immerhin drei Jahre andauerte.
Das Wincklerbad als Aufhänger für die heutige Propaganda der Neonazis
Genau an diesen Schwachstellen der Verdrängung setzen rechtsradikale ideologische Kampagnen wie in Dresden (?Bombenholocaust?) oder Bad Nenndorf (?alliiertes Folterlager?) an. Ich will dies an einigen Textstellen der Bewerbung für die ?Trauermärsche? deutlich machen:
2008 meldeten deren Organisatoren: ?Der Aufmarsch in Bad Nenndorf ist ein voller Erfolg für den nationalen Widerstand gewesen. Nirgendwo sonst in Deutschland wird die Forderung ‚Besatzer raus!‘ so deutlich hörbar wie in Bad Nenndorf. (?) Dort wo die Lüge sichtbar wird, zerbricht das seit mehr als 60 Jahren durch Umerziehung installierte Weltbild. Dort wird Raum geschaffen für einen Wandel, der nicht nur Symptome bekämpft, sondern weiter reicht! Die historische Wahrheit ist für ein kommendes Deutschland, in dem Worte wie nationale Identität, Volksgemeinschaft und Volkssouveränität wieder eine Bedeutung haben sollen, unverzichtbar!?
In einer anderen Schrift aus dem Jahre 2009 heißt es: ?Die abscheulichen Menschenverletzungen im Wincklerbad und dessen Umfeld sind aber lediglich die Spitze des Eisberges der begangenen Verbrechen und des Unrechts in der Nachkriegszeit. Die Wahrheit ist, daß die aggressiven allierten Besatzungsmächte und Kriegstreiber von heute nicht als Befreier, sondern als Vernichter und Profitmaximierer kamen (…).?
Und ein letztes Zitat aus dem Aufruf für den ?Trauermarsch? des Jahres 2007: ?Deshalb ist es an uns, der deutschen Jugend, auch hier in Bad Nenndorf ein Zeichen zu setzen! Ein Zeichen der Trauer für die Opfer dieses britischen Folterlager, dass nur eines von vielen alliierten Folterlagern gewesen ist. Aber auch ein Zeichen dahingehend, dass der Schuldkult in Deutschland sein sicheres Ende findet! Schluss mit der Befreiungslüge! Schluss mit der alliierten Nachkriegsordnung!?
In diesen drei Textstellen tauchen die wesentlichen Elemente rechtsradikaler Mythenbildung im Kontext vom Wincklerbad in Bad Nenndorf auf, weshalb wir auf weitere Zitate verzichten können.
Den Konstruktionen der sogenannten ?Befreiungslüge? wird der Mythos eines angeblich seit Kriegsende bestehenden Besatzungsregimes hinzugefügt. Zentraler Bestandteil der ?Befreiungslüge? ist die Umdeutung der Deutschen in kollektive Opfer der Alliierten. Innerhalb des angeblich seit über 60 Jahren bestehenden Besatzungsregimes wäre durch die ?Umerziehung? bei den Deutschen ein ?Schuldkult? entwickelt worden, in welchem sich diese zu Unrecht nicht begangener Vergehen selbst bezichtigten. Diesen Umdeutungen wird ein vager Begriff von ?Wahrheit? gegenüber gestellt, die es aufzudecken gelte. Über die deutsche Beteiligung am 2. Weltkrieg erfahren wir dort nichts. Man bekommt fast den Eindruck, als hätte der 2. Weltkrieg überhaupt erst mit der Besetzung Deutschlands angefangen. Als Alternative zur vermeintlich bis heute anhaltenden ?alliierten Nachkriegsordnung? wird schließlich ein kommendes Deutschland als Volksgemeinschaft angeboten ? also nicht mehr und nicht weniger, als die Negation der universellen und allgemeinen Grund- und Menschenrechte.
Diese ideologischen Konstruktionen bilden im Falle Bad Nenndorfs das mythische Gerüst, mit welchem die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte Deutschlands einer umfassenden Revision unterzogen werden soll. Bei dieser Revision schreckt man nicht davor zurück, Begriffe zu entlehnen, die bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus entwickelt worden sind. Sie werden aus dem Zusammenhang gerissen und erhalten eine entgegen gesetzte Bedeutung. Dies geschieht nicht nur mit plakativen Begriffen wie dem ?Bombenholocaust? oder ?alliierten Folterlagern?, sondern auch auf subtilere Art und Weise. So heißt es in einer der o.g. Flugschriften: ?Leider haben wir in vielen Gesprächen erfahren müssen, wie schwer es für Zeitzeugen ist über die Geschehnisse von damals zu sprechen. Die Angst vor den Besatzern sitzt noch zu tief und auch heute macht man es den Überlebenden nicht leicht über die Nachkriegszeit zu sprechen.?
Hier wird ein neuer Gipfel des Zynismus erreicht, in dem deutschen Zeitzeugen der Nachkriegsereignisse eine Traumatisierung durch die alliierte Besatzungspolitik angedichtet wird, die die Überlebenden des Holocaust tatsächlich erfahren mussten. Während ihrer Aussagen vor dem Nürnberger Gerichtshof und in vielen anderen Prozessen mussten viele Opfer des Nationalsozialismus die erlittenen Demütigungen und Misshandlungen erneut durchleiden. Hiervon kann bei den deutschen Zeitzeugen der Nachkriegszeit überhaupt keine Rede sein. Die heutige rechte Propaganda geht hier noch über die alten Verdrängungsmechanismen hinaus. Die Verdrängung der 40er und 50er Jahre beinhaltete u.a., die alliierten Kriegsgegner seien ?auch nicht besser? gewesen, wodurch deutsche Vergehen relativiert wurden . Im Unterschied hierzu werden bei den heutigen Nazi-Legenden Täter und Opfer de facto ausgetauscht.
Bad Nenndorf im Unterschied zu Wunsiedel
Im Fall des Wincklerbades in Bad Nenndorf gibt es einen wesentlichen
Unterschied zu anderen rechtsradikalen Gedenkstätten. In den zuvor
genannten Texten wird kein positiver Bezug zur NS-Zeit genommen. Auch in
anderen schriftlichen Verlautbarungen machen die Organisatoren des
Trauermarsches einen großen Bogen um das Thema Nationalsozialismus.
Demgegenüber demonstrierten in Wunsiedel Rechtsradikale bis 2005 zum
Gedenken an den NS-Verbrecher Rudolf Heß, das machte ihre
Veranstaltungen juristisch angreifbar. Durch ?Trauermärsche? für
tatsächliche Opfer von Misshandlungen wollen sie jedoch nicht nur
juristischen Problemen aus dem Wege gehen, sondern sie wollen so ihren
Ruf verbessern. Mitleidsbekundungen zugunsten misshandelter Personen ?
wie glaubwürdig auch immer diese sein mögen ? versprechen scheinbar eine
bessere Reputation als pompöse Verherrlichungen des vollkommen
gescheiterten NS-Systems.
Kampf um die historisch-politische Deutungshoheit
Der DGB und das Bad Nenndorfer Bündnis betrachten die politisch-historische Deutungshoheit über die Nachkriegsereignisse auch in diesen lokalen Auseinandersetzungen als einen nicht zu unterschätzenden Faktor, der eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des politischen Widerstandes gegen die Nazi-Aufmärsche darstellt. Sowohl die Verdrängungsmechanismen als auch die politischen und historischen Fakten müssen freigelegt werden. Wir haben deshalb den wissenschaftlichen Journalisten Dr. Utz Anhalt engagiert, der im Auftrag des Bündnisses historisches Material gesichert hat und bei Archivbesuchen in London neue Quellen erschlossen hat. Im Herbst wird unter dem Titel ?Das verbotene Dorf? eine wissenschaftliche Dokumentation zu den Vorgängen im Wincklerbad in den Jahren 1945 bis 1947 erscheinen.
Soweit zu den notwendigen Bedingungen des erfolgreichen Widerstandes gegen sogenannte ?Trauermärsche?. Zu den hinreichenden Bedingungen zählt am Ende jedoch der politische Widerstand, der allerdings nicht von den Nenndorfern allein getragen werden kann. Der nächste sogenannte ?Trauermarsch? ist am 14. August ? also in 14 Tagen.
Am selben Tage findet natürlich auch die Gegendemonstration des Bürgerbündnisses und des DGB statt. Helfen Sie mit, dass die Naziaufmärsche dort zu einem Ende kommen. Dies wird nur erfolgreich sein können, wenn noch wesentlich mehr Menschen an den Protesten gegen die Geschichtsklitterung teilnehmen. Kommen Sie selbst und motivieren Sie ihre Familie, daran teilzunehmen. Sprechen Sie mit Freunden, Kollegen und Bekannten.
Helfen Sie mit, diesem braunen Spuk ein Ende zu setzen!
Ich danke Ihnen!
Fußnoten
1 Zu diesen Lagern in der britschen Zone: Heiner Wember: Umerziehung im Lager. Internierung und Bestrafung von Nationalsozialisten in der britischen Besatzungszone Deutschlands. Essen (1990) 3. Auflage 2007. Die anderen Besatzungszonen sind nicht Gegenstand dieser Betrachtung.
2 Ebenda S. 96-105 (Abschnitt ?Mißhandlungen in Bad Nenndorf?).
Auch Ian Cobain: The interrogation camp that turned prisoners into living skeletons. Guardian, London 17 Dezember 2005.
Derselbe: The postwar photographs that British authorities tried to keep hidden. Guardian, London 3. April 2006.
Ein Kriegsgerichtsverfahren wurde eingeleitet. Weiter heißt es auf der
Website des Security Service MI5,: This led to several prosecutions
between March and July 1948, concerning the mistreatment of nine german
prisoners. The chief medical officer was charged with professional
neglect (for which he was convicted) and manslaughter (for which he was
acquitted .?(https://www.mi5.gov.uk/output/bad-nenndorf.html ). Weitere
Personen wurden nicht bestraft.
In Kürze erscheint auf Initiative
des Bündnisses ?Bad Nenndorf ist bunt? eine wissenschaftliche
Dokumentation mit neuesten Forschungsergebnissen (Utz Anhalt: Das
verbotene Dorf. Das Verhörzentrum Wincklerbad der britischen
Besatzungsmacht in Bad Nenndorf. Offizin Verlag, Hannover Herbst 2010).
3 Bürgerinformation des Gedenkbündnisses Bad Nenndorf, Frühjahr 2009
4 Zit. nach gedenken-badnenndorf.info
5 Bad Nenndorf Bürgerinformation, 1. Hälfte 2009
6 Terror, Folter und Mord. Trauermarsch in Bad Nenndorf am 28. Juli 2007. 1. Hälfte 2007
7 Bürgerinformation des Gedenkbündnis Bad Nenndorf. Frühjahr 2009
8 Als Beispiel hierfür der Bericht über die Vorgänge in Bad Nenndorf aus der Zeitschrift Quick aus dem Jahre 1952. ?Hinter den Kulissen der Nachkriegszeit. Der dritte Grad.? In: Quick. 9.3.1952.
„Das verbotene Dorf“ – Bericht über das Verhörzentrum Wincklerbad in Bad Nenndorf
Neuste Forschungsergebnisse über Unrecht im Britischen Zentralgefängnis – und wie dieses von Neonazis instrumentalisiert wird
Das
Verbotene Dorf (Offizin Verlag)Im Volksmund war es lange nur als „Das
verbotene Dorf“ bekannt – was genau sich zwischen 1945 und 1947 in Bad
Nenndorf nahe Hannover abspielte, das klärte sich – auch für viele
Anwohner – erst Jahrzehnte später auf. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges
verwandelte der Britische Geheimdienst das Dorf mitsamt dem 1930
gegründeten Badehaus Wincklerbad in geheime Gefängnisse für politische
Gefangene. Aus Badezellen wurden Gefängniszellen, in denen sich auch
Misshandlungen und Folter zutrugen. Nachdem zwei Häftlinge starben und
zahlreiche andere unterernährt und mit Erfrierungen in nahe gelegene
Krankenhäuser eingeliefert wurden, stellte die Britische Regierung
einige der Verantwortlichen vor ein Militärgericht und schloss das
Lager.Jahrzehntelang war Bad Nenndorf wieder ein friedlicher
Badehaus-Kurort; bis das Dorf 2006 von Neonazis für Propagandazwecke
entdeckt wurde. Erstmals vor fünf Jahren meldeten Rechtsextreme einen
„Trauermarsch“ für angeblich unschuldig Inhaftierte an. Damals kamen nur
rund 20 Demonstranten, 2010 waren es bereits um die 1000. Ihre
Behauptung: In Bad Nenndorf seien Unschuldige gefoltert worden und damit
zeige sich, dass die Briten systematisch Kriegsverbrechen begangen
hätten.Um diesem Missbrauch von Geschichte vorzubeugen, haben Utz Anhalt
und Steffen Holz umfangreich über das „Verbotene Dorf“ recherchiert, um
mit historischen und detailgetreuen Fakten, Zeugenberichten und
ungeschönten Beschreibungen von Foltermethoden und -opfern die
Geschichte des Verhörzentrums zu berichten. Dabei werden die
unmenschlichen Umstände, unter denen einige Häftlinge inhaftiert wurden,
nicht ausgespart. Allerdings zeigt sich ganz deutlich, dass es sich bei
den Misshandlungen nicht um systematische Gewalt handelte, sondern um
die Taten Einzelner, die diese auch vor britischen Gerichten
verantworten mussten. Einblicke in die Hintergründe der Inhaftierungen
zeigen zudem, dass es sich nicht um zufällig Inhaftierte, sondern
zumeist um Führungspersonen aus NS-Organisationen handelte. So war unter
den Häftlingen auch Oswald Ludwig Pohl, der als „oberster Organisator
und Vollstrecker des Holocausts“ bei den Nürnberger Prozessen zum Tode
verurteilt wurde.Auch nach 1945 war die Angst der Briten vor einem
deutschen Widerstand und Anschlägen gegen die Besatzer groß. Besonders
die Gefahr einer NS-Untergrundarmee namens „Werwolf“, die auf
Selbstmordattentate gegen die Alliierten spezialisiert war, konnte von
diesen nicht richtig eingeschätzt werden. Deswegen verhafteten die
Briten zunächst auch Führungspersonen des Nazi-Regimes, gegen die noch
kein konkreter Verdacht bestand. Neben Gefangenen mit NS-Hintergrund
wurden ab 1946 auch vermehrt angebliche Kommunisten und sowjetische
Spione festgenommen und im Wincklerbad verhört. Unter ihnen waren zwei
Häftlinge, die kurz nach ihrer Inhaftierung im Wincklerbad in
Krankenhäusern verstorben sind.Auf fast 200 Seiten erzählt „Das
verbotene Dorf“ die erschütternde Geschichte Bad Nenndorfs. Dabei zeigt
sich: Aufarbeitung und Aufklärung sind essentiell im Umgang mit der
NS-Geschichte und insbesondere im Einsatz gegen Rechtsextremismus. Das
Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) nahm sich des Missbrauchs
historischer Orte und Daten durch Rechtsextremisten bei einer Tagung auf
der ostwestfälischen Wewelsburg an. Und auch in Bad Nenndorf selbst
engagiert sich aufgrund der Ereignisse seit 2008 das Bündnis „Bad
Nenndorf ist bunt“, in dem sich Politiker zusammen mit ehrenamtlich
Engagierten für Toleranz und für einen unverklärten Blick auf die
Geschichte des Dorfes starkmachen. Für dieses Engagement wurde „Bad
Nenndorf ist bunt“ 2011 mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und
Toleranz“ vom Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet.Die
Motivation für ihr Engagement fassen Utz Anhalt und Steffen Holz, der
als Generalsekretär beim DGB (Region Niedersachsen-Mitte) im Bündnis
engagiert ist, zusammen:“[…] Dass ,Bad Nenndorf‘ von Neonazis zum
Gegenstück der Folterkeller von Gestapo und NS gemacht werden soll,
treibt einem die Schamesröte ins Gesicht. In Bad Nenndorf und im
gesamten britischen Internierungssystem fehlt sowohl das terroristische
System staatlichen Missbrauchs und daher auch die Zahl und die Art der
Opfer der NS-Barbarei. Es gibt hier nichts Vergleichbares und darum
nichts gleichzusetzen.“
„Das verbotene Dorf. Das Verhörzentrum Wincklerbad der britischen Besatzungsmacht in Bad Nenndorf 1945 bis 1947.“ von Utz Anhalt und Stefan Holz. Offizin Verlag, 2011. 191 Seiten. 9,80 €. ISBN: 978-3-930345-90-8.
Schriftenreihe (Bd. 1396) der bpb: Wider die Gleichgültigkeit!
Schriftenreihe (Bd. 1396) – Wider die Gleichgültigkeit!
Aktiv gegen Rechtsextremismus: Perspektiven, Projekte, Tipps
„Rechtsextreme melden eine Kundgebung auf dem Marktplatz an, in der
Schule werden vermehrt rassistische Witze erzählt, bei einem
Fußballspiel werden Spieler mit Migrationsgeschichte beschimpft ?
typische Beispiele für Rechtsextremismus und Rassismus in
Alltagssituationen. Wie kann man sich dagegen engagieren? Und was kann
zivilgesellschaftliches Engagement bewirken? Ein Sammelband mit
Beispielen aus der Praxis.
Herausgeber: Julia Hasse /
Gregor Rosenthal, Seiten: 272, Erscheinungsdatum: 22.11.2013,
Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 1396„
Mit einem Beitrag über die Bündnisarbeit in Bad Nenndorf:
Link: Schriftenreihe (Bd. 1396)- Wider die Gleichgültigkeit!
Wege zur Erinnerung
Quelle: Schaumburger Landschaft – http://www.schaumburgerlandschaft.de
Das Projekt zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Schaumburg 2007 – 2008
Durch private Initiative wurde 2007 die Diskussion um das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Schaumburg neu angestoßen. Eine Projektgruppe erhielt von der Politik den Auftrag, die Art der Erinnerung in einer breit angelegten öffentlichen Diskussion zu klären. Dank engagierter Bürgerbeteiligung wurde ein innovatives Konzept beschlossen, mit dem die zahlreichen Erinnerungsorte in Schaumburg besser vernetzt, weitere Forschungen und Schülerprojekte gefördert und die ehemalige Synagoge in Stadthagen zu einem Knotenpunkt dieses Netzwerks ausgebaut werden soll.
Das Buch dokumentiert die Ergebnisse und belegt zugleich den breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens über Sinn und Notwendigkeit einer öffentlichen Erinnerung an die in der Zeit des Nationalsozialismus in Schaumburg begangenen Verbrechen.
Schaumburger Landschaft (Hg.)
Kulturlandschaft Schaumburg Band 19
2008.
Verlag für Regionalgeschichte
ISSN 1439-8338
ISBN 978-3-89534-714-6
Extra 3: NPD-Resozialisierungsprogramm
Link zu Sendung von Extra 3:
Die größten Straftäter der NPD
Das Ende der ersten deutschen Demokratie
Das Ende der ersten deutschen Demokratie
Von Birgit Kramp
Lange habe ich überlegt, wie man über das Ende der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik am 23.3.1933, angemessen berichten könnte. Vieles habe ich darüber gelesen, manches hat mich erschüttert, einiges hat mich sehr wütend gemacht und anderes wiederum hat mich zutiefst berührt und beeindruckt.
Deshalb möchte ich heute nicht darauf eingehen, warum oder wie es vielleicht zum Ende der Weimarer Republik gekommen ist, sondern möchte stattdessen mit Hilfe von Auszügen aus der SPD- Broschüre ?Otto Wels ? Mut und Verpflichtung? an den Mut der 94 Abgeordneten erinnern, die als einzige gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben.
Josef Felder im Jahre 1982 über die Umstände des 23.3.1933:
‚Die
SPD-Fraktion hatte am 22. und am Vormittag des 23 noch eingehend über
ihre Haltung zum Ermächtigungsgesetz beraten. Es handelte sich um die
Entscheidung darüber, ob die Fraktion überhaupt an der Sitzung
teilnehmen sollte. Es gab einige Kollegen, darunter vor allem den
Reichsbanner-Vorsitzenden Höltermann, die hartnäckig die Meinung
vertraten, den Präsidenten Göring eine scharfe Entschließung zu
übermitteln und dann abzureisen. Diese Meinung fand keine Mehrheit. Otto
Wels wehrte sich ebenso wie der um viele Jahre jüngere Dr. Schumacher
energisch gegen ein Fernbleiben von der Sitzung. Die Abgeordnete aus
Schleswig-Holstein, Luise Schröder, geriet in Erregung. Sie sprang auf
und forderte leidenschaftlich: ?Keiner darf fernbleiben! Ich gehe
hinüber und wenn sie mich in Stücke reißen. Man muss vor aller Welt den
Nazis widersprechen und mit Nein stimmen.? Auch Clara Bohm-Schuch wandte
sich zornig gegen Höltermann. Jeder Satz der Rede, die Otto Wels halten
wollte, wurde nun in reger Diskussion abgewogen[?].
Der
Zentrumsabgeordnete Joos, ein sehr achtbarer christlicher Arbeiterführer
aus Köln, nahm während unserer Fraktionssitzung mehrmals Verbindung mit
uns auf, um uns über den Verlauf der Beratungen beim Zentrum zu
unterrichten. [?]
Die Ankündigung der Kanzlerrede hatte eine
riesige Menschenmenge in Bewegung gesetzt. Agitatoren der NSDAP
peitschten sie unaufhörlich mit Zurufen an. Sprechchöre brandeten zu den
Fraktionszimmern, die teilweise im Reichstag noch benutzbar waren,
hinauf, um den Abgeordneten der bürgerlichen Mitte und der SPD
begreiflich zu machen, dass der Reichstag bewusst unter äußersten Druck
gesetzt werde. ?Wir wollen das Ermächtigungsgesetz, sonst gibt`s Zunder!
Nieder mit den roten Schuften und Landesverrätern!? Kein Wunder, dass
die unheimliche Situation in der SPD-Fraktion psychische Belastungen und
so bei manchem die Meinung auslöste, in die Kroll-Oper hinüberzugehen,
bedeute vielleicht Selbstmord.
So wurde der Weg vom Wallotbau
zur Kroll-Oper zum Dornenpfad. Die Schutzpolizei hielt nur eine schmale
Gasse in der Menschenbrandung für die Abgeordneten frei. Unmittelbar
vor dem Portal der Kroll-Oper erlebten wir die Verhaftung des ehemaligen
Ministers Carl Severing. Auf Intervention von Göring kam er wieder frei
und konnte nachträglich noch seine Neinstimme abgeben. Der ebenfalls
verhaftete Abgeordnete Dr. Julius Leber kam nicht mehr frei.
Hitler ließ wie ein Star auf sich warten. Die Abgeordneten zeichneten
sich in die Anwesenheitsliste ein, bewitzelt von schlaksigen SA- und
SS-Führern, die aus dem ganzen Reich eingeladen waren, um dem großen
Schauspiel beizuwohnen. [?]
Hitler und sein Gefolge kamen in
Parteiuniform im Sturmschritt und mit erhobener Hand. Die Botschafter
und Gesandten der fremden Mächte und die sonstige Prominenz erwateten
ihn in den vollgepfropften Logen stehend, während die gestiefelten Nazis
die Hacken zusammenschlugen wie eine preußische Gardekompagnie. Die
bürgerliche Mitte und die SPD nahmen sichtlich betroffen und schweigend
Platz. [?]
In diesem Augenblick geschah etwas Ungewöhnliches:
SA- und SS-Leute betraten in völlig unzulässiger Weise den Raum der
Abgeordneten und bildeten einen dichten Kordon um die Sitze der SPD.
Ihre gezischten Drohungen und billigen Witze verstummten erst, als
Hitler mit seiner programmatischen Rede begann. Bei jedem seiner
sarkastischen Hiebe gegen die SPD fieberten die braunen Gäste um uns und
es sah mehr als einmal so aus, als können sie den Zeitpunkt einer
?persönlichen Abrechnung? mit uns nicht erwarten. [?]
Die
Sitzung wurde nur für die Dauer von etwa drei Stunden unterbrochen, um
den Fraktionen ? im alten Reichstag ? Zeit für ihre Schlussberatungen zu
lassen. Warnend, ja beschwörend kam der Abgeordnete Joos nochmals zu
uns: ?Reist ab oder sagt ja, ihr seid in Lebensgefahr!? Auch der
Zentrumsabgeordnete Dr. Dessauer warnte einige Kollegen.
Die
Fraktion billigte einige Abwesenheitsmeldungen für jüdische Kollegen aus
menschlich sehr erklärbaren Gründen. Über 20 Abgeordnete befanden sich
in ?Schutzhaft?, so dass die verbleibenden 94 nun die endgültige
Entscheidung zu treffen hatten. Es kam zu einem dringenden Appell
jüngerer Abgeordneter, Otto Wels solle die Antwort der SPD an Hitler an
sie abgeben. Auch Dr. Schumacher war dazu bereit. [?]
Am
Spätnachmittag des 23. März erhielt sofort nach Sitzungsbeginn Otto Wels
unter gespanntester Aufmerksamkeit des Hauses das Wort.
Würdevoll, äußerst beherrscht und ohne jedes Zeichen von Furcht stand er
am Rednerpult. Unser Beifall zu besonders markanten Sätzen löste
Zischen und Zwischenrufe um uns herum aus, während die Nazi-Abgeordneten
sich überraschend ruhig verhielten. Göring winkte der SA wiederholt
unwillig ab und sagte dann mit schneidender Stimme: ?Die Abrechnung ist
Sache des Führers!? Hitler machte einen nervösen Eindruck, notierte
eifrig auf kleine Zettel und schüttelte mehrmals den Kopf.
Höhnisches Gelächter der Rechten übertönten unseren Beifall und dann
stürzte Hitler förmlich ans Rednerpult: ?Spat kommt Ihr, doch Ihr
kommt!? Und nun folgte eine Flut von böswilligen Behauptungen und
Anklagen gegen die Sozialdemokraten, unter völliger Missdeutung
politischer und geschichtlicher Fakten. Zwischenrufe aus den Reihen der
SPD mischten sich mit Heil- und Bravo-Rufen der Rechten. Göring zu
gewandt: ?Ruhe! Jetzt rechnet der Führer ab!? Die bürgerliche Mitte
verhielt sich schweigend.‘
Die bürgerliche Mitte verhielt sich schweigend.
Auch heute schweigen noch viele Menschen wenn Rechtsextreme auf Straßen und Plätzen Macht demonstrieren wollen oder versuchen mit ihren dumpfen Parolen die Köpfe und Herzen der Menschen zu erreichen. Aber auch heute ist es wieder wichtig, dass Rechtsextremen klar widersprochen wird!
Auszüge der Rede von Sebastian Edathy am 01.08.2008 auf einer Veranstaltung vom Bürgerbündnis Bad Nenndorf ist bunt:
‚…der
deutsche Bundestag hat vor wenigen Wochen an das Jahr 1933 erinnert.
Man hat lange Zeit gesprochen in den letzten Jahrzehnten von dem Jahr
der Machtergreifung. Der Titel der Gedenkstunde im deutschen Bundestag
lautete aber nicht „75. Jahrestag der Machtergreifung“ sondern „75.
Jahrestag der Selbstaufgabe der Demokratie in Deutschland“. Ich glaube
das entspricht den historischen Tatsachen weit mehr als von einer
Machtergreifung zu sprechen.
Denn was war geschehen in den
30er Jahren? Massenarbeitslosigkeit gab es nicht nur in Deutschland
damals, auch in den USA. Aber in Deutschland kam es zur Errichtung einer
menschenverachtenden, einer antihumanen Diktatur. Und die Demokratie in
Deutschland, die Weimarer Republik, ist damals nicht an zu vielen
Arbeitslosen gescheitert, sondern an zu wenig Demokratinnen und
Demokraten, die bereit waren sich einzusetzen für den Erhalt der
Demokratie.
Und wenn wir uns heute vor Augen halten, das wir
Jahr für Jahr, deutlich mehr als 10.000 rechtsextremistische Straftaten
in Deutschland zu verzeichnen haben, wenn wir feststellen müssen das
davon etwa 1.000 Delikte im Jahr Gewalttaten sind, wenn wir also
feststellen müssen das jeden Tag in Deutschland zwei, drei Menschen
körperlich zu Schaden kommen weil sie Opfer von Rechtsextremisten
werden, dann müssen wir gemeinsam auch sagen Ja es ist wieder Zeit
deutlich zu sagen, Demokratie zu erhalten und erhalten zu können.
Das ist keine Selbstverständlichkeit sondern es bedarf des Engagements
nicht nur von Menschen die in gewählten Positionen oder aufgrund ihrer
beruflichen Tätigkeit im Sicherheitsbereich da vielleicht besondere
Verantwortung tragen, es ist Sache jedes einzelnen Bürgers, jeder
einzelnen Bürgerin sich immer wieder vor Augen zu halten, das Demokratie
stets verletzlich ist und das Demokratie der stetigen Weiterentwicklung
zu ihrer Erhaltung bedarf. [?]
Natürlich muss man sich auch
die Frage stellen, was kann man rechtlich tun, aber das enthebt uns
nicht der Verantwortung zu sagen es geht nicht nur darum im Rahmen des
Rechtsstaates den Aktionsradius von Menschenrechtsfeinden wirksam zu
beschränken, wir müssen auch persönliche Verantwortung übernehmen das
die Demokratie erhalten bleibt und weiterentwickelt werden kann, nicht
nur am Freitag um 18:00 Uhr in Bad Nenndorf sondern dauerhaft. Und ich
glaube das ist sozusagen unsere Verpflichtung als Demokratinnen und
Demokraten, zu sagen all jene die den Kern des Gesellschaftsvertrages in
Frage stellen, nämlich die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die
müssen auf ein klares Nein stoßen, und die müssen auf klaren Widerstand
stoßen.[?]‘
Weiter Infos:
Die Rede von Otto Wels
1. Sitzung, Dienstag 21. März 1933
2. Sitzung, Donnerstag 23. März 1933
Herzlichen Dank an Sebastian Edathy für die freundliche Genehmigung, Auszüge seiner Rede zitieren zu dürfen!