„Die Mehrheit darf nicht schweigen“


Gedenktag: 75 Jahre Auschwitz-Befreiung / Schattentheater erinnert an Schreckenszeit

BAD NENNDORF (jl). Zahlreiche Nenndorfer und Rodenberger haben den Holocaust-Opfern gedacht. Dabei ließ das Schattentheater Sonnenputzer aus Wunstorf mit der Inszenierung des Hörspiels „Klopfzeichen“ von Heinrich Böll das NS-Grauen auf eindrucksvolle Weise gegenwärtig werden. 75 Jahre ist es her, dass die alliierten Truppen die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten beendet haben. Mehr als 80 Anwesende zählte Jürgen Henze vom veranstaltenden Präventionsrat der Samtgemeinden Nenndorf und Rodenberg im kleinen Saal der Wandelhalle – mehr als erwartet. Zusätzliche Stühle mussten bereitgestellt werden. Der Kontaktbeamte wertete dies als Zeichen, dass das Ziel erreicht wurde: „Man merkt, dass hier etwas zusammengewachsen ist, das Früchte trägt.“ Einen großen Anteil daran habe das Antirechtsbündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ mit seinem geleisteten Widerstand gegen Rechts. In dem Schattenfigurentheater wurde deutlich, wie ungerecht die Menschen, allen voran Minderheiten, während der NS-Zeit behandelt worden waren und wie schwer sie die schreckliche Zeit vergessen. Das Stück handelt von einem Überlebenden, der am Vorabend der Erstkommunion seiner Tochter durch die Zimmer seines Hauses wandert, zum einen Selbstgespräche führt, zum anderen mit seiner Frau redet. Er hört immer wieder die Klopfzeichen seines Zellennachbarn namens Julius. Dieser morste mit einem Priester, der ihn auf seine Erstkommunion vorbereitete, die Julius nicht mehr erlebte. Er wurde wegen Diebstahls an einem halben Löffel Mehl aus der Gefängnisküche erschossen. Daraus wollte er Hostien für die verbotenen Messen backen. Andreas Nolte von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes erinnerte daran, dass mit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 – dem heutigen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus – das Martyrium noch nicht zu Ende war. Rund 7000 Häftlinge, darunter 600 Kinder, wurden von der Roten Armee angetroffen. Die Mehrzahl war in einem eisigen Winter auf Todesmärsche nach Westen zu anderen Lagern geschickt worden. Dort erlebten aber nur wenige ihre Befreiung. Viele erfroren, verhungerten oder brachen zusammen und wurden dann erschossen. Die KZ Buchenwald und Bergen-Belsen zum Beispiel wurden erst im April 1945 befreit. In Zeiten zunehmenden Rassismus und Rechtsradikalismus sei es wichtiger denn je für eine offene, demokratische Gesellschaft einzutreten, sagte Nolte und rief zu Wachsamkeit und Solidarität auf: „Die Mehrheit – das sind wir – darf nicht schweigen.“ Die „schleichende Verrohung“ der Gesellschaft durch „anonyme Feiglinge“ dürfe nicht einfach hingenommen werden. „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, mahnte der Sprecher. Zum Abschluss der Gedenkfeier wurde ein Kranz am Gedenkstein für verfolgte und ermordete Juden niedergelegt, ein jüdisches Gebet gesprochen und appelliert, dem Faschismus nie wieder eine Chance zu geben. Foto: jl