Ein bitteres Urteil


28.02.2020 – Von Michael Klarmann

Im Prozess wegen der angeklagten Beleidigung der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) ist der rechte Rocker, Medienaktivist und Ex-Polizist Tim K. am Donnerstag freigesprochen worden.

Das Gericht hat die Äußerungen des Angeklagten als „unproblematisch zulässig“ gewertet; Photo (Symbol): Gerhard Frassa / pixelio.de

Wegen des Vorwurfs der Beleidigung musste sich der vorbestrafte Rocker aus dem ostwestfälischen Horn-BadMeinberg in Berlin-Tiergarten vor dem Amtsgerichtverantworten (bnr.de berichtete) Kurz vor dem Prozess hatte Tim K. noch in den sozialen Medien darauf hingewiesen, dass die „Anzeigenkönigin Deutschlands“ – wie er seine ganz persönliche Hassfigur Chebli hämisch bezeichnete – als Nebenklägerin „gegen mich antreten“ und Schmerzensgeld einklagen wolle. K. bezeichnet die Sozialdemokratin oft auch nur abfällig als „Staatssekretärin für Dingsbums“.

Der rechte Influencer berief sich vor Gericht dann auf das Recht der freien Meinungsäußerung. Der 46-Jährige soll die Politikerin in einem Video als „Quotenmigrantin der SPD“ und „islamische Sprechpuppe“ bezeichnet haben. Ihrem Vater hatte er rhetorisch fragend unterstellt, wohlmöglich aus „religiöser Überzeugung oder wirtschaftlicher Berechnung“ seinerzeit in einem Flüchtlingslager „zwölf Kinder gezeugt“ zu haben.

„Haarscharf an der Grenze des Zulässigen“

Angeblich hege er aber gar keinen Groll und keine bösen Absichten gegen Chebli, sagte der frühere Polizist am Donnerstag vor dem Amtsgericht. Doch Chebli trete polarisierend in der Öffentlichkeit auf, er wolle ihr Paroli bieten. Die Staatsanwaltschaft stellte in ihrem Plädoyer indes die Äußerungen des Mannes als massiv abwertend und rassistisch dar. Es sei um bewusste Diffamierung und nicht um politischen Diskurs gegangen. Er wolle überdies mit Provokationen Klicks generieren und als Medienaktivist Geld verdienen. Cheblis Nebenklage-Anwalt Christian Schertz führte aus, Tim K. spreche seiner Mandantin die Menschenwürde ab, indem er sie als eine vom Islam gesteuerte Puppe bezeichnet habe. Auch sein Verbalangriff auf den Vater „verletzt sie auf übelste rassistische Weise in ihrer Würde als Mensch“.

Den Freispruch verhindern solche Argumente jedoch nicht .Der Richter sagte zur Begründung des Urteils, Kernfrage sei gewesen die „Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und unzulässiger Herabsetzung“ auszuloten. Die Äußerung „Quotenmigrantin der SPD“ könne zwar als unverschämt oder kränkend empfunden werden, sei aber „unproblematisch zulässig“. Durch die Bezeichnung „islamische Sprechpuppe“ werde die Politikerin zwar „hart getroffen“, sie liege aber im Kontext des veröffentlichten Videos „haarscharf auf der Grenze des Zulässigen“. Die Fragestellung zum Vater sei nur „eine grobe Unverschämtheit“. Staatsanwaltschaft und Nebenklage wollen gegen dieses Urteil Rechtsmittel einlegen. Chebli, Staatssekretärin für Bürgerliches Engagement und Internationales, twitterte nach dem Freispruch. „Das Urteil ist bitter für mich und alle, die sich für unsere Demokratie stark machen. Lasst Euch nicht einschüchtern, zeigt Rassisten bitte weiter an. Lasst uns nicht in Ohnmacht verfallen, sondern dafür kämpfen, dass Deutschland ein freies, offenes und vielfältiges Land bleibt.“

„Team Deutschland gegen Team Orient“

Der Kopf der „Identitären“, Martin Sellner, verbreitete auf seinem Telegram-Kanal (36.700Abonnenten) einen Screenshot von dem Tweet und garnierte diesen hämisch mit einem Tränen lachenden und sich vor Freude hin und her rollenden Smiley. Die 41-Jährige Chebli hatte kürzlich eine Morddrohung von mutmaßlichen Rechtsextremisten gegen sich öffentlich gemacht. Sie erhebt immer wieder ihre Stimme gegen Rassismus und Intoleranz. In den unterschiedlichen Rechtsaußen-Spektren gilt die Sozialdemokratin mit palästinensischen Wurzeln sowohl als erfolgreiche Frau, aber auch als Muslima und Migrantin als eines der Hauptfeindbilder. Sie ist vielfach und regelmäßig Ziel von Hetze, Drohungen, Verleumdung und hämischen Kommentaren.

Auf die rechte Szene wirkte der Prozess daher schon ihm Vorfeld elektrisierend.  Wiederholt hatte Tim K. auch dazu aufgerufen, den Prozess zu besuchen. „Das Team Deutschland gegen das Team Orient im rechtsstaatlichen Kampf für unsere Meinungsfreiheit!“, schrieb er etwa bei Facebook. Zu Prozessbeginn kam es daraufhin vor und im Foyer des Gerichtes zu tumultartigen Szenen mit rund 100 Unterstützern. Der Gerichtssaal selbst fasste nur rund 20 Besucher. Seine Anhänger stimmten die Nationalhymne im Foyer an, skandierten Parolen, machten Videoaufnahmen und feierten später den Freispruch lautstark. Einige hatten Deutschland-Fahnen mitgebracht, die Szenerie wirkte mehr wie ein rechter Aufmarsch, wie eine Machtdemonstration und keineswegs wieder solidarische Besuch eines Gerichtsverfahrens.

Tim K.: „Sieg ist unser aller Sieg!“

Nachdem Tim K. dazu aufgerufen hatte, zwecks Finanzierung des Prozesses Geld zu spenden, hatten sich in den sozialen Medien und Chats der Szene immer wieder Aktivisten dazu bekannt, gespendet zu haben um K.s Kampf gegen Chebli zu unterstützen. Am Donnerstag war die Verhandlung und das Geschehen rund um das Gericht denn auch eines der Topthemen in den rechten Socialmedia-Filterblasen. Das am späten Nachmittag erfolgte Urteil wurde gefeiert wie ein Sieg in einem Stellvertreterkrieg. Kurz nach seinem Freispruch schrieb K. auf Facebook: „Dieser Sieg ist unser aller Sieg!“ Tim K. gilt in der Welt zwischen AfD, rechten „Wutbürgern“ und rechtsradikaler Szene als authentischer Influencer, der seine Fans über verschiedene Formate in den sozialen Medien und über seine Homepage „bespielt“. In seiner Inszenierung als Ex-Soldat, Ex-Polizist und nunmehr „patriotischer“ Rocker gilt er in seinen Kreisen als besonders glaubwürdig um gegen Migranten und die „etablierte“ Politik zu wettern.

Den Prozess am 27. Februar hatte K. im Vorfeld umfangreich in den sozialen Medien dazu genutzt, um die Staatssekretärin immer wieder neu zu provozieren und sie aufzufordern, im Gerichtssaal zwecks verbalem Schlagabtausch zu erscheinen. Alleine die Vielzahl seiner hämischen Postings und Beiträge widersprach seiner Aussage, dass er keine bösen Absichten gegen Chebli hege und lediglich Comedy-mäßig agiere. Zugleich machte er seinerzeit schon deutlich, das er selbst seinen eigenen Prozess inszenieren und die mediale Reichweite anfeuern werde. Derlei hatte nicht nur den Ansturm seiner Anhänger und gleichgesinnter Medienaktivisten zur Folge. Das Amtsgericht Tiergarten tagte am Donnerstag auch unter verschärften Sicherheitsbedingungen.

Quelle: bnr.de Autor: Michael Klarmann am 28.02.2020 –