Stellungnahme zu den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Eschede und der öffentliche Debatte danach

Zu den Demonstrationen am vorletzten Samstag (20.6.2020) in Eschede gibt es eine weitere Stellungnahme, und zwar von der Gruppe „Landfriedensbruch

1. Berichterstattung und “Gewalt”

Nachdem wir vergangenen Samstag in Eschede gemeinsam mit Anwohner*innen gegen den Aufmarsch der NPD demonstriert haben, möchten wir die Gelegenheit ergreifen und uns zum Ablauf des Tages und vor allem zur Berichterstattung äußern.

Bei Demonstrationen gegen Nazis gibt es bei der Berichterstattung oft dieselben Muster nach denen gearbeitet wird. Die Arbeit der Polizei wird nur in seltenen Fällen kritisch beleuchtet und der eigentliche Anlass der Gegendemo (die Verhinderung eines Aufmarsches von gewaltbereiten Faschisten) rückt meist in den Hintergrund. Der Fokus liegt dann oft darauf, wie sich Gegendemonstrant*innen verhalten haben.
So ist es nun auch erwartungsgemäß in Eschede passiert.

Die Lokalzeitung „Cellesche Zeitung“ hatte für die Veranstaltung einen Live-Ticker geschaltet, der sich, wenn man an dem Tag vor Ort war, etwas kurios liest.
So wird ein Bild gezeichnet, dass den Eindruck erweckt, die Polizei hätte den Tag total souverän über die Bühne gebracht und zu jeder Zeit die volle Kontrolle über das Geschehen gehabt. Tatsächlich war über den gesamten Tag immer wieder zu beobachten, dass die Polizei extrem nervös und überfordert war. Was letztlich auch ein Grund dafür gewesen sein kann, dass sie in ihrer Kopflosigkeit bei den kleinsten Unruhen der Demonstrant*innen sofort Gewalt und Pfefferspray angewandt hat. Hierbei muss man sich vor Augen halten, dass die Bereitschaftspolizei am ganzen Körper gepanzert und behelmt ist und mehr oder weniger gut ausgebildet in körperlichen Auseinandersetzungen ist; fast alle Polizist*innen waren auch den ganzen Tag über mit Sturmhauben vermummt. Die Gegendemonstrant*innen waren zum Großteil Jugendliche und stellten zu keinem Zeitpunkt eine akute Gefahr für irgendwen dar.
Vor dem Hintergrund der offensichtlichen Überforderung der Beamt*innen war es umso verwunderlicher, dass der Aufmarsch der 9 (!) Neonazis soweit ausgereizt werden konnte. Bereits in den frühen Mittagsstunden war klar, dass der Gegenprotest von Erfolg gekrönt ist und die Nazis nicht weiter laufen können, da eine zentrale Kreuzung des Aufmarschs der Rechten von mehreren hundert Gegendemonstrant*innen blockiert war. Eine solche Blockade eines Naziaufmarsches gilt als ziviler Ungehorsam. Die Polizei setzte dennoch alle Hebel in Bewegung, um den Aufmarsch der NPD zu ermöglichen und das ganze Theater der Faschisten im bizarren Auftritt von Sebastian Weigler auf dem leeren Parkplatz der Volksbank gipfeln zu lassen.

Völliges Unverständnis lösen bei uns auch die angekündigten Anzeigen Polizei gegen antifaschistische Demonstrant*innen aus. Wer vor Ort war, wird wissen, wer hier tatsächlich gewalttätig war. Spannend wäre hierbei auch, warum es weder die Polizei noch die Presse für nötig hält zu erwähnen, dass Neonazi Sebastian Weigler Schusswaffengebrauch gegen Demonstrant*innen forderte, um die Blockade der Route zu räumen oder der mehrfach vorbestrafte Pierre Bauer zunächst ohne Einschränkung als Ordner auftreten durfte, bis Medienvertreter*innen darauf aufmerksam machten, dass Bauer ein verurteilter Gewaltverbrecher ist.

Die Polizei verkaufte den Tag im Nachgang als Erfolg für sich und stellte Gegendemonstrant*innen wörtlich als Angreifer dar. Zum wiederholten Mal hat sich Sebastian Weigler in Szene gesetzt und die Lokalpresse ist wie in der Vergangenheit brav über sein Stöckchen gesprungen. In einem Video von „Celle Heute“ das mit „Unzensiert – unkommentiert“ wirbt, sind nach einem kurzen Kommentar von Bürgermeister Günter Berg noch einige ausgewählte Szenen von Rangeleien zu sehen. Diese wollte „Celle Heute“ dann doch irgendwie kommentieren:

„Die überwiegend friedliche Gegendemonstration wurde vereinzelt durch Chaoten gestört. Dabei kam es zu Übergriffen und Beleidigungen gegenüber Polizist*Innen.“

Diese selektive Darstellung dürfte ganz im Sinne von Weigler sein, der stets bemüht ist, sich und die NPD als friedlich dazustellen.

2. Vermummung und Protestformen

Bei mehr oder weniger regelmäßigen Nazi-Veranstaltungen im ländlichen Bereich dauert es erfahrungsgemäß nicht lange, bis von den Anwohner*innen Sorgen zu hören sind. Allerdings keine Sorge vor dem Offensichtlichen – der Landergreifung durch Neonazis – sondern Sorge vor Unruhe im Dorf, vor „krawallmachenden Linken“, vor einem Imageschaden der Region. Als Ursache dafür werden meist Demonstrant*innen von Außerhalb herangezogen. Es wird unterstellt, dass man ja nur Anreisen würde um vor Ort Krawall und Terror zu verbreiten und dann wieder abzuhauen. Gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass Protest friedlich ablaufen muss und dass man ja nicht nur gegen Rechtsextremisten sondern auch gegen Linksextremisten (sic) ist.

Dies verschleiert das eigentliche Problem für die Öffentlichkeit. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Kommentar des Bürgermeisters Günter Berg zum vergangenen Samstag in einem Video von „LokalHeute“. Günter Berg sagt zwar deutlich, dass er die NPD nicht im Ort haben will, lässt aber auch durchblicken, dass er eigentlich ganz zufrieden damit war, als noch nicht vor dem Hof demonstriert wurden durfte und man die Nazis bequem „wegignorieren“ konnte. Fast im selben Atemzug verurteilt er das antifaschistische Engagement eines Teils der Gegendemonstrant*innen. Er findet das Ganze „nicht schön“ und ist der Meinung, das ist etwas, das man „aushalten“ müsse.
Hierbei gibt es im Grunde zwei Probleme:

Die Nazis können sich selbst als „friedlich“ und bürgernah darstellen, da sie zwar als unerwünscht benannt werden, das Auftauchen von Gegendemonstrant*innen aber als das eigentliche Ärgernis beschrieben wird.

Es ist ein weit verbreiteter Trugschluss, dass Nazis nur ein Problem für den Ort sind an dem sie sich Treffen. Das Problem hat eine viel größere Dimension: Gerade Orte wie der Hof Nahtz in Eschede werden in erster Linie zur Vernetzung und Schulung von Faschist*innen genutzt. Und werden damit früher oder später oft zu einem viel größeren Problem an einem möglicherweise ganz anderen Ort. Damit sind solche Treffpunkte eine berechtigte Sorge für alle Menschen, die nicht in das Weltbild der Nazis passen und eben nicht nur für die Leute vor Ort.

Uns ist klar, dass die Anwohner*innen in Eschede andere Protestformen als wir wählen, dass sie andere Sorgen und Wünsche im Umgang mit dem Hof Nahtz haben und dass es für sie vielleicht verstörend wirkt, wenn Antifaschist*innen von außerhalb dort ihren eigenen Protest durchziehen. Wir sind aber gerade wegen der unterschiedlichen Ansätze solidarisch mit allen Eschedeer*innen, die sich den Nazis in den Weg stellen. Wir müssen nicht auf allen Ebenen derselben Meinung sein, um an einem Strang zu ziehen. Ziviler Ungehorsam – wie in diesem Fall durch das friedliche Besetzen eines Platzes auf der eigentlichen Naziaufmarsch-Route – ist ein wichtiges Mittel in der Demokratie, da dadurch verhindert werden kann, was durch eine einfache Demonstration nicht erreicht werden kann, nämlich das gleichzeitige Nutzen derselben Strecke (in diesem Fall) durch die Nazis. Es ist ein legitimes und notwendiges Mittel, um solche Aufmärsche zu verhindern. Um zu dieser Einsicht zu kommen, muss man sich nur die Entwicklung der Proteste in Bad Nenndorf anschauen. Es war dort ein langer Weg, bis sich etwas zum positiven gewandt hat, letztlich hat sich die Kooperation verschiedener Gruppen und Bündnisse jedoch ausgezahlt. Durch die gemeinsame Blockade der Naziroute durch die verschiedensten Gruppen konnte der Protest gegen die braunen Aufmärsche dort schließlich erfolgreich werden.

Da abzusehen ist, dass das Nazi-Problem in Eschede noch länger andauern wird, müssen wir gemeinsam einen langen Atem beweisen und uns auf unser gemeinsames Ziel konzentrieren.

Gesicht zeigen gegen Rechts?

Immer wieder taucht bei Demonstrationen in ländlichen Regionen die Frage bei Anwohner*innen auf, warum sich die Demonstrant*innen denn vermummen müssen, wenn man nicht kriminell sei, müsse man sich nicht verstecken und gegen Rechte kann man ruhig sein Gesicht zeigen. Hierbei gibt es leider ein Problem: Wie man vergangenen Samstag gut beobachten konnte, sind die Nazis sehr eifrig dabei, Gegendemonstrant*innen mit einem Teleobjektiv im Porträt abzulichten. Das tun Nazis in der Regel nicht weil sie uns so toll finden, sie sammeln Informationen, Bilder und Details über Aktivist*innen, um diese persönlich im privaten Bereich angreifen zu können. Dass das nicht an den Haare herbei gezogen ist, sondern ein Problem für jede*n werden kann, zeigte jüngst ein Anschlag auf eine Aktivistin in Einbeck bei Göttingen, bei dem am Wohnhaus der Betroffenen Sprengstoff gezündet wurde.

Das einige Demonstrant*innen also eher weniger Lust darauf haben ihr Gesicht in jede Kamera zu halten, sollte nachvollziehbar sein.

3. Die Notwendigkeit von solidarischem Protest

Ein weiterer Punkt der Antifaschist*innen oft vorgeworfen wird, ist die Annahme, dass man nur anreisen würde, um vor Ort Krawall zu machen, ein paar Steine zu schmeißen und johlend wieder nach Hause zu fahren. Ob man es glauben mag oder nicht: Die meisten Demonstrant*innen könnten sich ihre Freizeitgestaltung an einem sonnigen Samstag auch anders vorstellen.

Würden Landkreis und Behörden ihrer Arbeit nachkommen und nach Möglichkeiten suchen, um das Nazizentrum auf dem Hof Nahtz dicht zu machen, würde sich wohl kaum eine*r berufen fühlen nach Eschede zu fahren und sich dort mit Pfefferspray angreifen zu lassen. Es ist das Ohnmachtsgefühl und die Enttäuschung über das Politikversagen, die junge Menschen dazu animiert, sich gegen Neonazis einzusetzen.

Ein Ort wie Eschede muss sich eben auch am Erfolg des bisherigen Protestes messen lassen. Den Ort zu schmücken und Stände an der Kreuzung zum Hof aufzubauen ist nur eine von unzähligen Protestformen und war in den letzten 25 Jahren leider von wenig Erfolg gekrönt. Man muss sich auf vielfältige Art den Nazis in den Weg stellen, auf eine Art die für sie unbequem und auf Dauer zum Problem wird. Sich als Dorfgemeinschaft couragiert Nazis zu widersetzen bringt einem keinen schlechten Ruf ein – im Gegenteil! Es ist schließlich wenig Image-fördernd und wenig attraktiv, über ein Vierteljahrhundert einen Bundesweiten Nazistützpunkt im Ort zu haben. Das lässt sich nicht verschweigen und wird nicht besser, indem man mit dem Finger auf Gegendemonstrant*innen zeigt.

Welchen privaten Vorteil sollten die Antifaschist*innen haben, in einen kleinen Ort in der Südheide zu Reisen und dort Stundenlang in der prallen Sonne auszuharren, die Polizei im Nacken zu haben und sich im Nachgang noch als Gewalttäter darstellen zu lassen. Diese Leute haben das auf eigene Kosten und in ihrer sowieso schon raren Freizeit getan, ohne dafür irgendetwas zu erwarten – sie nicht öffentlich zu beschimpfen wäre aber das mindeste.

Mit freundlichen Grüßen,
Anita Förster – Pressesprecherin

Kampagne gegen das Nazizentrum in Eschede und rechte Umtriebe im Landkreis Celle.

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