Schwierige Suche nach Antworten zu Friedrich Kölling



1985 wurde die Straße in Hessisch Oldendorf nach Friedrich Kölling benannt – fünf Jahre nach seinem Tod. Foto: Dana

Fragen, die im Raum stehen, seitdem Erik Hoffmann die Rolle Köllings in der NS-Zeit aufgearbeitet und die Dewezet darüber berichtet hat. Doch die Suche nach Antworten steht noch ganz am Anfang.

Die Stadt Rinteln, das Dorf Möllenbeck, in dem Friedrich Kölling zur Welt kam, und die Stadt Hessisch Oldendorf, wo Kölling wohnte, als Lehrer arbeitete und sich als Heimatforscher verdient machte, gaben sich der Dewezet gegenüber überrascht von den Erkenntnissen, die Erik Hoffmann über Köllings NS-Vergangenheit zutagegefördert hatte (wir berichteten). Der pensionierte Gymnasiallehrer und Betreiber der lokalhistorischen Website geschichte-hessisch-oldendorf.de weist in seiner im Internet einsehbaren Arbeit „Vom Geist des Heimatforschers“ nach, dass Kölling nicht bloß passives NSDAP-Mitglied war, sondern das NS-Regime in seiner Rolle als Schulungsleiter und später auch als Presseamtsleiter im Stab des Ortsgruppenleiters der NSDAP mit Überzeugung unterstützte, indem er rassistische, antisemitische und kriegsverherrlichende Schriften produzierte.

Eine Rolle, die öffentlich offenbar nie groß thematisiert worden ist, sonst wäre vermutlich nicht noch im Jahre 1985 – ohne jedes Hinterfragen – eine Straße nach dem umstrittenen Heimatforscher benannt worden. Folglich ist es wenig überraschend, dass auch in der Lokalpolitik Ahnungslosigkeit über Köllings Wirken in der NS-Zeit vorzuherrschen scheint.

Hans Jürgen Hoffmann (SPD), der stellvertretende Ortsbürgermeister und Mitglied im Ortsrat Hessisch Oldendorf – dem Gremium, das dem Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz zufolge für die Benennung und Umbenennung von Straßen zuständig ist – ist auf Anfrage „noch in der Findungsphase“. Gleichwohl habe er den Dewezet-Bericht über die von Erik Hoffmann erarbeiteten Erkenntnisse über Friedrich Köllings NS-Vergangenheit „mit Schrecken“ aufgefasst. „Ich habe nicht vermutet, dass Kölling mit dem Nationasozialismus in Verbindung stand“, sagt er. Ihm sei er bislang lediglich als Heimatforscher ein Begriff gewesen, der sich als solcher auch sehr um den Heimatbund Hessisch Oldendorf verdient gemacht habe, dem er im Übrigen selbst angehöre.

Innerhalb der SPD-Fraktion seien die Friedrich-Kölling-Straße und die NS-Vergangenheit des Heimatforschers bislang noch kein Thema gewesen, führt er aus, es habe in der Zwischenzeit aber auch noch keine Zusammenkünfte gegeben, bei denen es dafür Gelegenheit gegeben hätte. Davon abgesehen gehe er aber davon aus, dass die Stadtverwaltung in der Sache nun tätig werde, und wolle deren Rechercheergebnisse abwarten.

Ortsratsmitglied Cord Möller (CDU) ist mit der Person Köllings dagegen wenig vertraut, wie er im Dewezet-Gespräch sagt. „Ich kenne ihn nicht“, sagt er. „Ich weiß nicht genau, was er alles Gutes getan hat, aber ich weiß auch nicht, was er vielleicht Schlechtes getan hat.“ In der NSDAP seien „damals ja die meisten“ gewesen, das allein halte er daher für wenig aussagekräftig. „Solange er niemandem Schaden zugefügt hat, kann die Friedrich-Kölling-Straße von mir aus weiter so heißen“, sagt Möller. „Wenn er aber jemandem Schaden zugefügt hat, dann sollte sie meiner Meinung nach umbenannt werden.“ In der CDU-Fraktion sei Kölling bislang mangels Gelegenheit zwar noch kein Thema gewesen, „es wird aber sicherlich noch darüber gesprochen werden“.

Bei den Grünen dagegen ist offenbar bereits über Kölling gesprochen worden. „Wir sind so verblieben, dass die Stadt recherchieren soll, ob das denn alles so stimmt“, sagt Ortsratsmitglied Sabine Eikmeier-Quindt von den Grünen. Schließlich könne „ein Erik Hoffmann ja viel erzählen“. Wenn die Ergebnisse der Stadt vorlägen, dann wolle sie sich „eine eigene Meinung bilden“. Möglicherweise komme das Thema bereits in der nächsten Ortsratssitzung außerplanmäßig auf den Tisch.

Ob die Hessisch Oldendorfer Stadtverwaltung in der Sache inzwischen zu eigenen Erkenntnissen gekommen ist oder zumindest sagen kann, ob die Ehrenbürgerwürde Köllings noch besteht, ist unklar. Die Dewezet-Anfrage von Mittwoch ist bis Redaktionsschluss nicht beantwortet worden. Aus dem Rathaus in Rinteln signalisiert der Bürgermeister dagegen Aktivität. „Wir sind dabei, das sensible Thema aufzuarbeiten“, sagt Thomas Priemer (SPD). In erster Linie werde sich aber der Ortsrat Möllenbeck damit befassen. „Neben einer politischen Debatte darüber werden wir auch eine historische Einschätzung erlangen müssen“, führt Priemer aus. Doch dazu bedürfe „es noch etwas Zeit“.

Dr. Stefan Meyer, Stadtarchivar und Leiter des Museums Eulenburg in Rinteln, sagt auf Anfrage, dass die 1970 Kölling verliehene Ehrenbürgerwürde zumindest bis zur Gebietsreform 1974 Bestand gehabt haben müsse. Zwar dauere das Durchsehen der Unterlagen der nachfolgenden 45 Jahre noch an. „Aber es ist mehr als unwahrscheinlich, dass eine formelle Aberkennung erfolgt ist“, so Meyer.

Erik Hoffmann hat mit seiner Arbeit eine Debatte angestoßen – ausdrücklich, ohne für oder gegen eine Umbenennung der Friedrich-Kölling-Straße zu plädieren. Ihm geht es nach eigenen Angaben die Auseinandersetzung in der Sache. Er schlägt in seiner Schrift allerdings vor, die fragwürdige Benennung der Friedrich-Kölling-Straße dadurch gewissermaßen auszugleichen, in dem auch der Opfer des Nazis mit einem eigenen Straßennamen gedacht wird. Etwa mit dem des 1848 ernannten Ratsherrn Nathan Lilienfeld, der sowohl Vorsteher der Oldendorfer Juden als auch der Schaumburger „Gesamt-Judenschaft“ gewesen sei, wie Hoffmann schreibt.

Auch in Hameln ist nach einem Vortrag des Hamelner Historikers Bernhard Gelderblom erneut die Debatte über den Umgang mit dem Miegelweg entflammt, der nach der NS-Dichterin Agnes Miegel benannt worden ist (wir berichteten).

Hinweis: Der Ortsrat Hessisch Oldendorf kommt am Mittwoch, 6. November, um 19.30 Uhr im Sitzungssaal I im Rathaus zur nächsten planmäßigen Sitzung zusammen.

autor: Philip Killmann von der szlz.de veröffentlicht am 03.11.2019


Friedrich Kölling: Großer Heimatforscher – aber auch Nazi

Friedrich Kölling kam 1894 in dem heute zu Rinteln gehörenden Dorf Möllenbeck zur Welt. Von 1919 bis 1954 war er Lehrer in Hessisch Oldendorf. Seit den 20er Jahren war er in der Heimatpflege tätig, erst im Heimatbund der Grafschaft Schaumburg, dann im Heimatbund Hessisch Oldendorf. Für seine Heimatforschung wurde ihm 1957 von der Stadt Hessisch Oldendorf und 1970 von Möllenbeck die Ehrenbürgerwürde verliehen. Über beide Orte schrieb er Chroniken. 1964 wurde ihm der Niedersächsische Verdienstorden verliehen. So weit, so gut.

Aber Friedrich Kölling war auch im Stab des Ortsgruppenleiters der NSDAP von 1938 bis 1945 Schulungsleiter, ab 1944 auch Presseamtsleiter, wie Erik Hoffmann (72), pensionierter Gymnasiallehrer und Betreiber der Website geschichte-hessisch-oldendorf.de, in einer 40-seitigen Arbeit mit dem Titel „Vom Geist des Heimatforschers – Volkstum, Rasse, Führertreue“ herausgefunden hat. „Die Schulung wacht, daß die Weltanschauung des Nationalsozialismus nicht verwässert wird, sondern kompromißlos zur Geltung kommt“, zitiert Hoffmann Köllings Vorgesetzten, den Gau-Schulungsleiter, aus einem Bericht der Schaumburger Zeitung von 1939.

Dass Kölling hinter diesem Aufgabenverständnis stand, belegt Erik Hoffmann mit zahlreichen von Kölling verfassten Zeitungsberichten und anderen Schriften, aus denen seine Überzeugung vom Nationalsozialismus hervorgeht. Frank Werner, ehemaliger Chefredakteur der Dewezet, zählt Kölling und andere in seinem 2010 erschienenen Buch „Schaumburger Nationalsozialisten“ zu den „scharf antisemitischen Schulungsleitern der NSDAP“. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass Kölling in seiner Hessisch Oldendorfer Stadtchronik „die NS-Zeit als Epoche völlig“ unterschlägt, wie Hoffmann feststellt. Viele überzeugte Nazis wurden nach der NS-Zeit im Entnazifizierungsverfahren als „unbelastet“ eingestuft, so wie etwa die Dichterin Agnes Miegel, nach der etwa in Hameln eine Straße benannt ist (wir berichteten). Ob auch Kölling das Entnazifizierungsverfahren durchlief, ist derzeit noch unbekannt.

Friedrich Kölling am Mikrofon des Westdeutschen Rundfunks. Foto: Niedersächsisches Landesarchiv Bückeburg/pr

Auch aus diesen Gründen wohl ist Köllings NS-Vergangenheit heute wenig bekannt. Die Antwort der Hessisch Oldendorfer Stadtverwaltung auf die Dewezet-Anfrage überrascht dann aber doch. Demnach lägen „über die Rolle von Friedrich Kölling zu Zeiten des Nationalsozialismus keine belastbaren Erkenntnisse vor“. Die Nachfrage, wann die Friedrich-Kölling-Straße entsprechend benannt wurde, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. In der Erinnerung von Erik Hoffmann war es im Jahr 1983 – drei Jahre nach Köllings Tod –, als Hessisch Oldendorf 750-jähriges Bestehen feierte.

Ahnungslosigkeit auch im Rintelner Rathaus und Ortsrat. Für den in Möllenbeck geborenen Rintelner Bürgermeister Thomas Priemer (SPD) sei die Angelegenheit zwar „von Bedeutung“. Eine „verbindliche Auskunft“ könne er aber nur dann erteilen, „wenn ich entsprechende Unterlagen einsehen kann“ – was derzeit aber nicht der Fall sei, so Priemer. Man werde aber „die Sache aufarbeiten“. Auch der Möllenbecker Ortsbürgermeister Thomas Frühmark (CDU) wolle sich erst „ein persönliches Bild über seine (Köllings; Anm. d. Red.) Geschichte machen“. Er kenne nur dessen Möllenbecker Chronik und die sei „toll“. Keine Verwandtschaft bestehe im Übrigen zwischen Friedrich Kölling und dem Möllenbecker Ortsratsmitglied Reinhold Kölling (SPD), wie dieser auf Anfrage sagt.

In Hessisch Oldendorf habe Erik Hoffmann über die Politik bereits zweimal versucht, eine Debatte über die Friedrich-Kölling-Straße anzustoßen. Zuletzt in diesem Sommer, als er seine Arbeit über Kölling fertiggestellt hatte und allen Ortsratsmitgliedern zukommen gelassen habe. Doch bis auf eine „freundliche Rückfrage“ vonseiten eines CDU-Mitglieds, wie der Ortsrat darauf reagieren könne, habe er bislang keine Antwort erhalten. Eine Umbenennung der Friedrich-Kölling-Straße halte er übrigens nicht für zwingend nötig. Eine Auseinandersetzung schon. „Ich wünschte mir etwas Konstruktives“, sagt er.

Seine Arbeit endet mit dem Fazit: „Köllings umfangreiche regionalgeschichtliche Arbeiten nach 1945 werden durch seine früheren NS-Aktivitäten nicht annulliert. Umgekehrt gilt allerdings dasselbe.“ Ähnlich differenziert fällt die Einschätzung von Dr. Stefan Meyer aus, dem Rintelner Stadtarchivar und Leiter des Museums Eulenburg. „Kölling war zweifellos ein überzeugter und offensiver Nationalsozialist, der das NS-Regime nach Kräften unterstützt hat, ebenso zweifellos hat er sich große Verdienste für die Geschichtsschreibung in Schaumburg erworben“, so Meyer auf Anfrage. Mein Standpunkt

Philipp Killmann
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Philipp Killmann Reporter zur Autorenseite

Von Philipp Killmann

Es ist bezeichnend, wenn jemand als großartiger Heimatforscher in Erinnerung geblieben ist und in Ehren gehalten wird – seine dunkle Vergangenheit aber in Vergessenheit geraten ist oder gar ausgeblendet wird. Symptom des nach der NS-Zeit eingetretenen Verdrängungsmechanismus? In jedem Fall liegt hier eine Faktenlage vor, die nach einer Auseinandersetzung förmlich schreit. Laut.