Von Andrea Röpke 01.09.2020 –
Während das Hanau-Gedenken an die Opfer rechter Gewalt aus Angst vor einer Ausbreitung des Coronavirus abgesagt wurde, ignorierten die Teilnehmer/innen der Massenproteste in Berlin Pandemie-Auflagen gänzlich. Nicht nur die gewaltsame Erstürmung des Reichstags verdeutlichte das autoritäre Credo der Veranstaltung.Flaschenwurf gegen Beamte vor der russischen Botschaft; Foto:© A.R.
Sie hatten vorab Revolution, Tag X oder Blockaden versprochen. Bis zu 40.000 Menschen folgten am Samstag den rechten Protestaufrufen nach Berlin. Die verantwortlichen Stellen in der Bundeshauptstadt stellten den Aufstandsfreudigen jedoch nur eine unverhältnismäßig kleine Zahl von 3000 Polizeibeamten entgegen. Daran, dass die Großveranstaltung in Corona-Zeiten alles andere als ein harmloses Happening werden würde, hatten allerdings schon die zahlreichen Ankündigungen bestimmter Drahtzieher keinen Zweifel gelassen. „Welcome to the Revolution“ lautete der Chat-Namen einer der Gruppen in den Netzwerken. Jürgen Elsässer vom „Compact“-Magazin sprach vom „Wichtigsten Tag seit 1945“.
Eine aggressive Dynamik der Mobilisierung wurde deutlich, als trotz vorübergehendem Demonstrationsverbots wenige Tage zuvor ungehindert weiter mobilisiert worden war. Das war ein deutliches Fanal. So hoffte zum Beispiel ein führender Neu-Rechter darauf, dass es am 29. August notwendig würde, die Nacht im Freien zu verbringen um „den Protest zu verstetigen“. Und Michael Ballweg vom Hauptveranstalter „Querdenken“ soll eine tagelange Besetzung der Straße des 17. Juni angekündigt haben.
Hildmanns Megafon quietschte weiter
Im Laufe des Tages kam es an vielen Stellen zu Ausschreitungen von rechts. Abends als die Einsatzkräfte eine Versammlung vor der russischen Botschaft untersagten, widersetzten sich vor allem rechte Hooligans unter dem Gejohle der Menge gegen die Festsetzung durch die Polizei. Zuvor war der Vegan-Koch und YouTuber Attila Hildmann nach einer aufrührerischen Rede dort festgenommen worden. Das Megafon flog ihm aus der Hand und quietschte sekundenlang weiter. Immer wieder formierten sich Grüppchen von Demonstranten und bewarfen Beamte mit Flaschen. Anders als beim G20-Gipfel in Hamburg schien das jedoch keine Folgen zu haben.
In der Friedrichstraße gerieten anwesende Beamte immer wieder ins Visier der wütenden Menge, weil sie neben ihren Helmen Gesichtsmasken trugen. Die waren nicht erwünscht. Denn an die Corona-Epidemie mag in diesen Reihen nicht geglaubt werden. Lauthals wurden alle Träger von Gesichtsmasken aufgefordert, sie schnellstens abzunehmen. „Wir tuen Euch auch nichts!“ hieß es immer wieder am Polizeizaun an der Ecke zur Torstraße. Tatenlos schauten die wenigen Sicherheitskräfte dem massiven Gedränge dort zu, halfen Medienvertretern nicht, die bedrängt wurden. Dicht an dicht versuchte sich die Masse an Demonstrierenden einen Weg durch die Absperrung zu erringen.
Politiker in Häftlingskleidung auf Holzschildern abgebildet
Als dann Samstagnachmittag die Meldung von einer „Auflösung“ der rechten Veranstaltung über die bundesweiten Ticker lief, bedeutete das keinesfalls das Ende. In riesigen Massen strömten die Teilnehmer in Richtung Siegessäule. Schnell wurde klar, dass an diesem Tag des vermeintlichen rechten Happenings unter dem Motto „Fest für Freiheit und Frieden“ radikale Thesen unter den zig Tausenden Anwesenden die Runde machten. Fahnen in den Farben des Deutschen Reiches wehten alle paar Meter, Transparente, die Donald Trump und Wladimir Putin huldigten, QAnon-Symboliken, weitere Symbole der Verschwörungstheoretiker wie Alu-Hüte waren zu sehen. Die Menge feierte neben Holz-Schildern, auf denen prominente Politiker/Innen und Medienvertreter/innen in Häftlingskleidung abgebildet waren. Eine fröhliche Gruppe von AfDlern aus der Sächsischen Schweiz trug niedliche blaue Hütchen. Alexander Tassis aus Bremen hatte sich eine LGBT-Regenbogenfahne über die Schulter gehängt. Die AfD-Bundestagsabgeordneten Robby Schlund und Karsten Hilse posteten stolz für ein Foto mit einem Schild in der Hand, auf dem der Wissenschaftler und Regierungsberater Christian Drosten als Straftäter abgebildet und mit einem „Schuldig“ gekennzeichnet war.
Über zwei Dutzend Bundestagsabgeordnete und viele weitere Politiker/innen der „Alternative für Deutschland“ hielten weder Abstand zu durchgeknallten Volkstribunen wie Attila Hildmann, noch zur Anhängerschaft der „Staatenlos“-Kundgebung vor dem Sitz des Bundestags. Interessiert an den Reichstreuen zeigte sich ein AfD-Politiker, Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Dort vor und auf der Bühne stand den ganzen Nachmittag ein Mann, der in weiten Kreisen des rechtsextremen Spektrums bestens bekannt ist: Wolfram Nahrath. Er war Redner bei der „Reichsbürger“-Veranstaltung, kommunizierte mit den Verantwortlichen der Polizei.
Breite Akzeptanz für „Reichsbürger“
Nahrath rief gegen 18.00 Uhr auf der Bühne dazu auf, mehr Platz für weitere Anhänger der „Staatenlos“-Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude zu schaffen. Der Berliner ist einer der bekanntesten rechtsextremen Hardliner in der Bundesrepublik, ehemals bei der „Wiking-Jugend“, die 1994 wegen ihrer aggressiv-kämpferischen Grundhaltung und der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus verboten wurde. Nahrath machte weiter, als Anwalt, Mitglied der völkisch-nationalistischen Gemeinschaft und als Aktivist der NPD. Kurz nach dem Auftritt von Attila Hildmann auf dieser Bühne brach der Sturm auf die Stufen des Reichstags los.
Die so genannten „Reichsbürger“ fanden ungewöhnlich breite Akzeptanz. Auch auf der größeren Demonstration forderten Menschen auf selbstgemalten Plakaten Friedensverhandlungen mit den USA und Russland. Die politische Richtung der Souveränitätsfordernden trat besonders hervor. Diese Gruppe will vor allem die vermeintlich fehlende Eigenständigkeit Deutschlands wiederherstellen. Genau an diesem Punkt ergibt sich eine Schnittstelle zur „Neuen Rechten“, wie zum Konservatismus und zum Nationalismus. Die Ansicht, die BRD sei nicht souverän, wird unter anderem von Jürgen Elsässers „Compact“-Magazin, von Pegida-Anhängern oder Teilen der AfD getragen. Prominentester Anhänger ist der Mannheimer Pop-Sänger Xavier Naidoo, der sich 2011 mit dem Satz „Deutschland ist immer noch ein besetztes Land“ als Verfechter dieser Theorie outete.
Mit Putin und Trump gegen Merkel
Zwar geht die Bundesregierung von Tausenden Anhängern aus, doch ein so starker Mobilisierungs- und Verbreitungsgrad wie er am Samstag in Berlin deutlich wurde, war bisher nicht erkennbar gewesen. Die Behauptung, dass sich die Bundesrepublik noch immer in den Händen alliierter Besatzungsmächte befinde, geistert seit Jahrzehnten durch die nationalistische Szene, jetzt wurde sie so genutzt, dass man sich gemeinsam mit Putin und Trump an einen Tisch setzen wolle, um gegen Merkel zu agieren.
Auf Fakten – und Gegenargumente – reagiert diese Szene resistent. Denn ein Friedensvertrag ist völkerrechtlich gar nicht nötig. „Der Besatzungsstatus der Bundesrepublik endete 1955 mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrags“, erklärt Christoph Ohler, Professor fur Öffentliches Recht an der Universitat Jena. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und den Alliierten habe das vorher geltende Besatzungsstatut aufgelöst. Die letzten „Alliierten Vorbehaltsrechte“ endeten laut Ohler mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag aus dem Jahr 1990. Dieser Vertrag wurde zwischen vier einstigen Besatzungsmächten und zwei deutschen Staaten abgeschlossen. Damit ist die Bundesrepublik vollständig souverän.
Zahlreiche bekannte Rechtsextremisten unter den Teilnehmern
„Warst du bei den Juden“ fragte ein älterer Mann aus einer Gruppe mit Bierflaschen in der Hand einen Jüngeren, als der von einem Gespräch mit Transparentträgern am Brandenburger Tor zurückkam. Auf dem weißen Tuch stand: „Grundgesetz, direkte Demokratie und den Erhalt unserer christlich-jüdischen Kultur – Freie Bürger für Deutschland“. Deutlicher Antisemitismus schwang bei zahlreichen Besuchern und Redebeiträgen der Veranstaltung mit. Ziele von Aggressionen waren neben Angela Merkel, Jens Spahn und Bill Gates vor allem „Soros“ und „Rothschild“. Willkommen fühlten sich in Berlin auch Vertreter der NPD. Udo Voigt, Ex-Europa-Abgeordneter und Klaus Beier sowie ein ganzer Tross von Mitstreitern warben großflächig für die neu aufgemachte „Deutsche Stimme“. Jens Pühse, zuständig für internationale Kontakte der Rechtsextremisten feierte den Tag als Erfolg. Auch die militante Kleinstpartei „Der III. Weg“ war vertreten, allerding weniger auffällig. Das „System“ sei „gefährlicher als Corona“ lautete deren Parole.
Unter den Teilnehmern des Massenprotestes befanden sich unzählige bekannte Rechtsextremisten. So waren die „Bruderschaft Deutschland“, die „Division Erzgebirge“ oder der Kameradenkreis um Niels Larisch und Henrik Ostendorf vertreten. Aus Dortmund kamen Robin Schmiemann, Michael Brück und Alexander Deptolla angereist. Mike Sawallich, Patrick Wieschke und Gerd Ulrich, ehemals „Heimattreue Deutsche Jugend“, fielen Beobachtern der Szene auf. Neben Anhängern der „Vandalen Berlin“ fühlten sich „Identitäre“ auf dem Gelände wohl. Begeistert klatschten Mitglieder der „Neo-Artamanen“ aus dem mecklenburgischen Klaber im Getümmel der Straße des 17. Juni zu den Redebeiträgen, die auf Großbildleinwänden übertragen wurden. Bereits am Abend zuvor hatte sich eine Schar völkisch Gesinnter um Nikolai Nerling zu Volksmusik eingefunden. Darunter auch Anhängerinnen der „Anastasia-Bewegung“.
Gemeinsamer ideologischer Nenner
Es war eine breit gefächerte rechte Szene, die sich in Berlin versammelt hat und einen gemeinsamen ideologischen Nenner in der Ablehnung von multikultureller Gesellschaft und Demokratie findet. Man ließ sie gewähren. Die Polizei stellte nur wenige Beamte in die Menge ab. Hunderte Meter entfernt hinter dem Tiergarten dagegen reihten sich Einsatzwagen aneinander. Der Jenaer Wissenschaftler Matthias Quent erklärt im Interview mit dem „vorwärts“: „Zunächst bräuchten wir eine wissenschaftliche Klärung der Frage, wie groß der Anteil derjenigen eigentlich ist, die nicht systemfeindlich gesinnt sind. Wenn in Chatgruppen mit 150.000 Mitgliedern zum Umsturz aufgerufen wird und niemand widerspricht, stellt sich schon die Frage, ob unter den 36.000 Demonstranten in Berlin die Antidemokraten nicht doch die Mehrheit sind und die viele Sympathien für Aktionen wie die am Reichstag haben?“ Nicht umsonst hätten diese Demonstrationen unter AfD-Anhängern die höchsten Zustimmungswerte.
Quelle: Blick nach rechts www.bnr.de vom 01.09.2020 Autorin: Andrea Röpke